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Mein langer Weg ins Mittelalter


Gebende



Seit 2005 verschwanden wir ab und an ins Mittelalter. Seit Ende 2006 kann ich garnicht mehr lassen. Wie kam es dazu?
 

2003 kam eine Kollegin auf die Idee mit unsren Kindern vom Sonnenhof zu einem Mittelaltermarkt in Beilstein zu fahren. Sie nähte einfache Gewänder für alle, werkelte, ließ die Kinder bei dem Bemalen helfen, brachte ein Kleid für die Kollegin mit und leihte sich eine provisorisch mittelalterlich angehauchte Musikantenkleidung meines Mannes (die ich kurz vorher für ein Jahresfest einer anderen Behinderteneinrichtung zusammenstückelte) für unsren Zivi aus. Ich wurde neugierig. Da ich ein freies Wochenende hatte, fuhr ich mit meinem Mann hin, um Hohenbeilstein anzugucken. Ich war begeistert.
 

Wir kamen in eine fremde Welt ... hörten mittelhochdeutsche Sätze oder zumindest Satzteile, die aus dieser Zeit gestammt haben könnten ... fremde Gerüche und interessante Gerichte ... Musik ... Gaulelei ... Marktschreier ... Handwerker ... kämpfende Highländer ... Individualisten ... Handarbeit ... Ich mußte mir sofort eine Schnittmustersammlung und Stoff einkaufen. Ich wollte das kommende Jahr richtig dabeisein.
 

Cultus Ferox

Anfang 2004 war ich immer noch unsicher was wir anziehen sollen. Was ist Mittelalter? Im Namen der Rose? Pieter Breughel? Robin Hood? Drei Nüsse für Aschenbrödel? Elisabeth I? Männer im Kilt? stampfende Kerls mit Dudelsäcken? Herr der Ringe? Schwarzer Umhang mit Gugel? Welche Bilder seid der Kindheit prägen mein Mittelalterbild? Daß Schnürmieder über Carmenblusen oder Pannesamtkleider mit Mittelalter nix zu tun haben, wußte ich zum Glück sofort. Es gibt nichts Peinlicheres.
 

Als es dann 2004 Frühling wurde lasen wir von einem Handwerkermarkt auf dem Frohnhof/Reichelsheim. Ich wollte mir nochmal genau angucken, was man so trägt. Immerhin ist das MA eine Zeitspanne von 1000 Jahren. Zu sehen gab es vor allem Handwerker, Ritter/Bogenschützen und ein älteres adliges Paar mit Hündchen. Ein Marktstand mit Kleidung war auch da. Nur, was ich fü meine Figur empfohlen bekam, sagte mir so garnicht zu. Aber ein Elfenfigürchen habe ich ja nicht. Und wen oder was will ich eigentlich darstellen? Welche Rolle paßt zu mir?
 

Ich entdeckte die Zeitschrift Pax et Gaudium und war begeistert, weil es damals richtige Themenhefte waren. Karfunkel (die Konkurrenz) war mir bis dahin nur als Sammelsurium in Erinnerung. Ein Pax et Gaudium hat den Schwerpunkt Kleidung und in einem sind Grundschnitte drin. So richtige, die nach den eigenen Körpermaßen gehen. Gerade Teile und dann mit Gêren erweitern erschien mir am logischsten. Ohne Verschnitt arbeiten, kannte ich aus einem Haushaltungsbuch um 1890 (kein MA!). Auf diesem Markt im Odenwald erstand ich noch eine Gürteltasche ohne Gürtel. Sie ist handwerlich eine gute Sattlerarbeit. Anderthalb Jahre später erzählte mir der Chef von Wagelyn, daß sein Gehilfe hell entsetzt war, daß eine normal gekleidete Frau sowas käuft. Ok, er konnte nicht wissen, was ich vorhatte.
 

Zwei Wochen später war ein Markt in Rothenburg ob der Tauber. Wir kauften uns Gürtel und ein paar Meter Borten. Mitlerweile versuchte ich, die zu sehenden Kleider, nach Zeitspanne zu ordnen. Nicht so einfach. Infos über Völker, Handelswege, Herrschaftsgebiete, Handarbeitstechniken und Schönheitsideale sind nicht gerade leicht zu erfahren. Und wir wollen uns trotz Authenzitätssuche auch noch heute wohl fühlen. 2004 wurde es aber nichts mit Beilstein für uns.
 

Ich hatte dann also noch den Winter über viel Zeit Sachbücher und Romane zu lesen. Die Zeit der Kreuzzüge war das, was wir erst einmal anpeilten. Adel Anfang des 12. Jahrhunderts und mein Gefährte ein Troubadour gehobenen Standes. Eine Rolle in die man hineinwachsen könnte, oder?
 

Ein Schnittmuster aus der romanische Periode nahm ich als Grundlage. Ich finde heute , es sieht aus wie zur staufischen Zeit. Die Schnitte bestehen aus geraden Teilen mit Erweiterungen durch Gêren.

 

Unterkleid aus Leinen
Kleid aus feinem Leinen
mit Überkleid aus dickerm leinenartigem Baumwollgewebe
auf Hohenneuffen
Hohenloher Hof

Heute würde ich auf Schnittmuster ganz verzichten. Die hatte man damals auch nicht.

Ende 2006 kamen wir dann das erste mal nach Adventon. Dort auf der Marienhähe bei Osterburken entsteht eine Mittelalterstadt. Da uns das Experimentieren so Spaß machte, legten wir die herschaftlichen Kleider ab, um dort mitzumachen.